Yudhistra und der Hund

Der große Held Yudhistira war mit sich ins Reine gekommen, dass ihn auf dieser Welt nichts mehr zurückhalten könnte. Er hatte alle Freuden, alle Macht, alle Ehren, die einem Menschen zuteil werden können, erlebt. 

Aber er war auch durch alle irdischen Höllen gegangen, hatte Armut, Knechtschaft, Verbannung und Demütigung am eigenen Leibe erfahren.
Am Ende seiner Lebensaufgabe angelangt, machte er sich auf seinen letzten Weg  und wanderte in Richtung Himalaya, in der Hoffnung, vom höchsten Berg der Welt aus, den Weg in den Himmel zu finden. 

Es folgte ihm seine Familie ein Stück weit, aber bald schon blieb einer nach dem anderen zurück. Der eine verdurstete in der Sonnenglut der Ebene, den zweiten raffte ein Fieber im tropischen Dschungel dahin, andere wieder wurden von Müdigkeit und Kälte übermannt, als sie begannen, in die eisigen Höhen aufzusteigen. 

So wurde die Gruppe immer kleiner, bis Yudhistira schließlich ganz allein war, gefolgt nur von einem kleinen, treuen Hund, der ihm in einem der letzten Dörfer nachgelaufen war.

Als sie den Gipfel erreichten, da öffnete sich der Himmel und Indra, der König aller Götter, trat heraus und hieß Yudhistira willkommen. Als er das feurige Himmelsgefährt besteigen wollte, um in den Himmel einzufahren, da sprang auch der kleine Hund auf den Wagen..  Indra, der Himmelskönig, wehrte entrüstet ab und hieß Yudhistira, dieses verlauste Tier wegzujagen. Dieser hielt erschrocken inne und sprach: „Oh großer Herr, dieser Hund ist die einzige Seele, die in Treue zu mir gehalten hat und mir bis hierher gefolgt ist. Wie sollte ich ihn hier zurücklassen?“ Und es entspann sich ein großer Disput zwischen Yudhistira und dem Herrn des Himmels. Aber Indra ließ sich nicht erweichen und Yudhistira hatte nur die Möglichkeit, den Himmel ohne Hund zu betreten oder auf den Himmel ganz zu verzichten. Da wandte sich Yudhistira zu gehen und sprach: „ Gern verzicht’ ich , oh Herr, auf einen Himmel, der nicht groß genug ist, als dass auch eine Hundeseele in ihm Platz fände!“

In diesem Moment geschah es, dass sich der kleine Hund in ein gleißendes Licht verwandelte und Yama, der Gott des Todes und der Barmherzigkeit vor ihm stand. Mit schwindenen Sinnen hörte er eine Stimme, die sagte: „Yudhistira, oh Yudhistira, du Barmherziger, das war deine letzte Prüfung!“ Und mit überschäumenden Jubel öffneten sich die Tore des Himmels und alles war Glanz und Herrlichkeit.

Diese Legende aus vorbuddhistischer Zeit stammt aus dem Heldenepos Mahabharata, aufgeschrieben vor ca. 2300 Jahren